Dass mal ein Roman von Bettina Belitz in diese ruhmlose Kategorie rutschen würde, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Doch ist ihr neuestes Werk "Vor uns die Nacht" zu einer persönlichen Enttäuschung für mich geworden.
Das lässt sich wohl am besten in meiner Rezension erklären:
Einen Roman von Bettina Belitz zu rezensieren, fällt mir
stets sehr schwer, da der Druck, der Autorin, ihrem wundervollen Sprachstil und
der Geschichte gerecht zu werden, enorm erscheint. Zum ersten Mal ist es für
mich nicht allzu schwer, denn zum ersten Mal hat mich ein "Belitzsches
Werk" enttäuscht.
Bildquelle |
Die 21-jährige Ronia steht unter der Fuchtel ihrer Eltern,
als Pfarreheleute sind die Leonhards strenge und gläubige Leute, die von ihrer
Tochter ein gewisses Maß an Anstand erwarten. Dem nicht genug, scheinen auch
Ronias Mitbewohner Jonas und ihre beste Freundin Johanna immer ein kritisches
Auge auf sie zu werfen. Ganz besonders als Ronia den stadtbekannten Stricher
und Drogenabhängigen Jan trifft und eine Obsession für ihn entwickelt.
Mittlerweile ist dies der zweite Roman für junge Erwachsene,
der ohne fantastische Elemente auskommen muss, dass Bettina Belitz auch damit
überzeugen kann, hat sie für mich mit "Linna singt" bewiesen. Doch
für "Vor uns die Nacht" hatte ich mir eigentlich etwas anderes
vorgestellt. Die Coveraufmachung und die Inhaltsangaben haben mich in die Irre
geführt und lenken von einer Story ab, von der ich mich nach dem Auslesen
ernsthaft fragen muss, ob sie eigentlich romanwürdig ist. Das klingt sehr hart
und es tut mir in der Seele weh, da Bettina Belitz nach wie vor zu meinen
Lieblingsautorinnen zählt, doch für mich viel die Umsetzung nicht überzeugend
aus.
Von hier an werde ich ein paar inhaltliche Schwerpunkte
verraten, wer das Buch noch nicht gelesen hat und dies noch möchte, sollte also
lieber nicht weiterlesen!
Doch ich fange erst einmal harmlos an. Die Autorin ist
bekannt für ihre starken, weiblichen Charaktere, die gerne zu irrationalen
Handlungsweisen tendieren. Ronia bildet da keine Ausnahme, was ich an ihren
Vorgängerinnen noch als gescheit empfand, war es mir oft sehr unangenehm zu
lesen, wie Ronia bewusst jedem in ihrem Umfeld vor den Kopf stößt, um zufällige
Begegnungen mit Jan zu inszenieren. Dies könnte vielleicht aufopfernd und
unglaublich romantisch sein, wenn zwischen den beiden etwas passiert wäre, doch
Ronia entwickelt dieses stalkerhafte Verhalten schon zu beginn. Dafür blieb Jan
sehr blass und ist mehr Schein als sein.
Was mich zur wohl größten Schwachstelle des Romans führt:
Ich habe den beiden ihre Beziehung, oder was auch immer sie verband nicht
abkaufen können. Klar, kann man sich so kennenlernen, daran habe ich nichts
auszusetzen, was mich nicht überzeugte, waren die Gefühle, welche Bettina
Belitz versuchte zwischen Ronia und Jan entstehen zu lassen. Sie kamen nicht
bei mir an. Das Kribbeln und Mitreißende ihrer Vorgängerpaarungen fehlte hier
absolut. Erotik? Fehlanzeige! "Vor uns die Nacht" ist ja auch
eigentlich ein Jugendbuch. Zwar traut die Autorin sich viel mehr als in ihren
bisherigen Büchern. Doch vor lauter Andeutungen und angeblicher Tabus blieb die
Romantik versteckt.
Da fieberte ich eher mit Jonas und Johanna, welche sich für
mich unüberraschend fanden. Nachdem, mit ganz viel Fremdschämen, Ronia doch noch
die "vernünftige Lösung: Jonas" ausprobieren musste. So viel
Sprunghaftigkeit zeugt eigentlich nur von Charakterschwäche.
Diese kam auch bei rassistischen Witzen zum Vorschein oder
bei Ronias möglicher Schockdiagnose MS (ob sie wirklich krank ist, bleibt
offen). Ich denke, nicht dass es die Absicht der Autorin war, Menschen mit
dieser Krankheit „sabbernde, an den Rollstuhl gebundene“ Individuen zu nennen,
doch dass Ronia trotzdem diese Worte benutzt, hat einen bitteren Beigeschmack
und ist sicher für alle Menschen, die damit leben müssen, ein Schlag ins
Gesicht - egal wie die ursprüngliche Intension der Autorin ausfiel.
Ebenso wenig durchdacht, war das "große Geheimnis"
der Leonhards, welche für mich die wohl schlimmsten Eltern seit langem Lesen
darstellten! Ihr Verhalten sollte mit einem früheren Kindesverlust erklärt
werden, der aus heiterem Himmel kam und mich einfach nur Kopfschütteln ließ.
Erst einmal ist dies leider kein seltenes Schicksal und wurde scheinbar
unzusammenhangslos als Rechtfertigung für Ronias Aussetzer und die ihrer Eltern
missbraucht.
Diese gewichtigen Themen bildeten einfach keine Einheit, sondern
standen oberflächlich im Raum und es blieb der Leserschaft überlassen, ob man
dies so hinnehmen möchte. Ich kann es nicht, da ich weiß, was zu Schreiben die
Autorin im Stande ist. Ich hoffe, dass sie sich für ihr nächstes Werk wieder
auf die Chemie ihrer Protagonisten besinnt und nicht darauf, wie man möglichst
vielen vor den Kopf stoßen könnte...
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